ZUR SORGFALTSPFLICHT IN FRISTENSACHEN
Ist der Zugriff auf einen ausschließlich elektronisch geführten
Fristenkalender wegen eines technischen Defekts einen ganzen Arbeitstag lang nicht möglich, kann es die Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts verlangen, dass die ihm vorliegenden Handakten auf etwaige Fristabläufe hin kontrolliert werden
(BGH, Beschluss vom 27.1.2015 – II ZB 23/13).
Hintergrund: Nach gefestigter Rechtsprechung verlangt die Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts in Fristensachen zuverlässige Vorkehrungen, um den rechtzeitigen Ausgang fristwahrender Schriftsätze sicherzustellen. Zu den Aufgaben des Rechtsanwalts gehört es deshalb, durch entsprechende Organisation seines Büros dafür zu sorgen, dass die Fristen ordnungsgemäß eingetragen und beachtet werden. Ein bestimmtes Verfahren ist insoweit weder vorgeschrieben noch allgemein üblich. Auf welche Weise der Anwalt sicherstellt, dass die Eintragung im Fristenkalender und die Wiedervorlage der Handakten rechtzeitig erfolgen, steht ihm grundsätzlich frei.
Sachverhalt: Die Klägerin begehrt die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist (§ 233 Satz 1 ZPO). Ihr Wiedereinsetzungsgesuch begründet sie mit einem Totalausfalls des Computersystems ihres Prozessbevollmächtigten, aufgrund dessen die Frist versäumt wurde. Während des Serverausfalls sei es nicht möglich gewesen, den Fristenkalender und die Fristabläufe einzusehen und zu bearbeiten. Ein physischer Fristenkalender wurde in der Kanzlei nicht geführt. Das Berufungsgericht wies den Antrag auf Wiedereinsetzung zurück, die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte keinen Erfolg.
Hierzu führten die Richter des BGH weiter aus:
- Führt der Anwalt einen elektronischen Kalender, so darf diese Organisation keine schlechtere Überprüfungssicherheit bieten als die manuelle Führung. Gleiches gilt für die Handakte.
- Treten Störungen in der Organisation des Büros auf, die dazu führen können, dass die Pflichten des Anwalts bei der Fristenkontrolle nicht erfüllt werden, erhöhen sich seine Sorgfaltspflichten. Er muss sicherstellen, dass seine Angestellten ihre Aufgaben auch dann zuverlässig erfüllen, wenn das zur Fristenkontrolle eingerichtete System aufgrund eines Computerdefekts vorübergehend nicht zuverlässig funktioniert.
- Im Streitfall hätte die sachbearbeitenden Rechtsanwältin die ihr vorliegenden Handakten jedenfalls händisch auf etwaige Fristabläufe hin kontrollieren müssen. Dies drängt sich hier insbesondere deshalb auf, weil die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist durch eine ausreichende Vorfrist sicherzustellen ist.
- Im Streitfall musste die Rechtsanwältin daher damit rechnen, dass sich unter den ihr vorliegenden Handakten auch solche befinden, die aufgrund dieser Vorfrist vorgelegt wurden. Dies gilt erst recht, da bereits nach dem Wiedereinsetzungsvorbringen der Klägerin mit solchen Fristabläufen konkret zu rechnen gewesen ist.
Anmerkung: Im Streitfall wurde nicht vorgetragen, dass der Rechtsanwältin die händische Durchsicht der ihr vorliegenden Handakten auf Fristabläufe tatsächlich nicht möglich gewesen wäre, sondern es wurde nur pauschal vorgetragen, es seien in der Kanzlei an jedem Tag „extrem viele“ Fristabläufe zu beachten und zu bearbeiten gewesen. Diese pauschale Begründing lies der BGH nicht gelten und wies den Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist ab.